Robert Rauschenberg
* 1925 Port Arthur/Texas
† 2008 Island of Captiva/Florida
„Wir werden eines Tages in einer nivellierten Welt leben.… aber es deprimiert mich zu sehen, wie allmählich alles gleichgemacht wird.
Ich freue mich auf Unterschiede. Ich brauche sie, ich achte sie.“
Bildhauer und Maler, Fotograf und Bühnenbildner, Kostümdesigner und Choreograf kaum ein anderer Künstler des 20. Jahrhunderts hat so viele Gattungs- und Stilgrenzen übersprungen wie Robert Rauschenberg.
In den weißen, schwarzen und roten Bildern der frühen fünfziger Jahre setzt sich Rauschenberg mit dem Abstrakten Expressionismus auseinander. Ab 1953 entstehen die „Combines“, Assemblagen, in denen er Malerei, Fotografien und diverse Objekte kombiniert. Anfang der sechziger Jahre beginnt er, mit Lithographien und Siebdrucken zu experimentieren. In den zweidimensionalen Arbeiten stehen Fotografien aus Zeitungen oder aus seinem Archiv ähnlich unvermittelt nebeneinander wie die Fundstücke in den „Combines“. Dieses Nebeneinander von Medien und heterogenen Inhalten ist zum Merkmal des Werks von Rauschenberg geworden. Von Anfang an beschränkt er sich nicht nur auf die bildenden Künste, sondern befasst sich in Zusammenarbeit mit John Cage und Merce Cunningham mit Performance, Theater- und Tanzveranstaltungen, entwirft Bühnenbilder und erprobt die Einsatzmöglichkeiten von Elektronik als künstlerisches Ausdrucksmittel.
Obwohl er vielen als Wegbereiter der Pop Art gilt, lässt sich sein Werk weder einem bestimmten Stil noch einer bestimmten Kunstströmung zuordnen.
Robert Rauschenberg wird 1925 in Port Arthur in Texas geboren. Sein Großvater, an den er sich wenig erinnern kann, kommt aus Berlin. Seine Großmutter ist eine Cherokee-Indianerin. Von ihr habe er seine Nase, seinen Instinkt, auch seine Ruhelosigkeit, sagt er 2006 in einem Interview.
Anfang der 1940er Jahre beginnt er ein Pharmaziestudium an der University of Austin/Texas. Dieses Studium bricht er jedoch wieder ab, da er Tierversuche ablehnt. 1943 wird er zum Militär eingezogen, wo er als Pfleger arbeitet. 1946 beginnt er am Kansas City Art Institute Missouri Modedesign zu studieren. Zwischendurch muss er als Schaufensterdekorateur und in einer Fabrik arbeiten, um sein Leben zu finanzieren. 1947 tauscht er seinen Vornamen Milton gegen den seines Großvaters, als Robert geht er nun nach Paris und setzt seine künstlerische Ausbildung für ein halbes Jahr an der angesehenen, privat geführten Académie Julian fort.
1948 kehrt er in die USA zurück und beginnt ein Studium am Black Mountain College in North Carolina. Zu seinen Lehrern gehören Jack Tworkov und Josef Albers. Die von Albers geforderte Disziplin und der verlangte methodisch-theoretische Ansatz veranlassen Rauschenberg häufig, gerade das Gegenteil von dem zu tun, was Albers lehrt. Er lernt den Komponisten John Cage und den Tänzer und Choreografen Merce Cunningham kennen, mit denen er später immer wieder für Happenings und Theateraufführungen zusammenarbeitet. Auch der Maler Jasper Johns zählt zu seinen engen Freunden.
Mehrmals reist er nach Nordafrika und Europa. In Paris lernt er Jean Tinguely und Niki de Saint-Phalle kennen, gemeinsame Performances folgen. 1949/50 besucht er die Art Student League in New York, wo er Cy Twombly kennenlernt. Mit ihm setzt er seine Reisen nach Nordafrika und Europa fort.
Mit seinen „White Paintings“, „Black Paintings“ und „Red Paintings“ der frühen 1950er Jahre setzt sich Rauschenberg mit dem damals vorherrschenden Abstrakten Expressionismus auseinander und von ihm ab.
Die „White Paintings“ und „Black Paintings” werden bei einem Brand zerstört. Sein Lehrer Albers hatte ihm Demut der Farbe gegenüber gelehrt und so versucht Rauschenberg sich an die Farbe zu wagen, die in seinen Augen die schwierigste darstellt: Rot. In den „Red Paintings“ übermalt Rauschenberg aufgeklebte Zeitungs- und Stofffetzen mit verschiedenen Rottönen.
Von 1953 bis zum Ende der 50er Jahre, experimentiert Rauschenberg mit den “Combine Paintings” zwischen Malerei und Skulptur – ein Versuch, die Grenze zwischen Kunst und Leben aufzuheben. Dabei kommen Alltagsgegenstände wie Radios, Küchengeräte oder ausgestopfte Tiere zum Einsatz, die in Collagen mit anderen Materialien und Farbe kombiniert werden.
Die Arbeit „Schwarzmarkt“ im Museum Ludwig Köln gehört zu den „Combine Paintings, in denen Rauschenberg Fundstücke, Malerei und Collage verbindet. Auf diese Weise entwickelt er eine neue Form der Auseinandersetzung mit Kunst und dem Leben. In diesem Sinne bemüht sich Rauschenberg, den Betrachter seiner Kunstwerke aus der passiven Rolle herauszuholen und ihn zum gestaltenden Mitspieler zu machen. Heute können sich die Museumsbesucher allerdings aus konservatorischen Gründen nicht mehr an dem „Schwarzmarkthandel“ beteiligen, zu dem sie ursprünglich aufgefordert wurden.
In dem Koffer unter dem Bild lagen vier Gegenstände, die mit den Zahlen 1, 2, 3, 4 gestempelt waren, außerdem ein Stempelkissen und ein Stempel. Eine mehrsprachige Gebrauchsanweisung lautete: „Man kann Objekt 1, 2, 3 oder 4 wegnehmen und sie gegen neue Objekte umtauschen. Es wird gebeten, das neue Objekt mit der richtigen Nummer zu stempeln und es in dem Buch mit der selben Nummer einzuzeichnen.“ Durch den Tausch und die Eintragung auf den mit Schreibpapier versehenen Metallblöcken ergab sich ein ständiger Wandel. Alltägliche Dinge wurden Teil des Kunstwerks, und der Besucher nahm Objekte des Kunstwerks in seinen nicht künstlerischen Alltag mit.
Inspiriert wird Rauschenberg bei den “Combine Paintings” von den unterschiedlichen Einflüssen rings um sein Atelier im Zentrum New Yorks. Sie erinnern an Marcel Duchamps Readymades und die Collagen Kurt Schwitters‘. Die Arbeiten „Pink Door“ (1954) und „Bed“ (1955) gehören zu den Inkunabeln der Pop Art.
1953-1965 arbeitet Rauschenberg mit Merce Cunningham an Bühnendekorationen und Kostümen für Cunningshams Dance Company. Der künstlerische Dialog mit den beiden führt zu weiteren u.a. mit Trisha Brown und Paul Taylor und zu eigenen Performances. 1966 macht er seinen ersten Film „Canoe“.
Er entdeckt den Siebdruck für sich und stellt seine ersten Lithographien her. 1967 kombiniert der die beiden Techniken in einigen aufsehenerregenden Arbeiten (z.B. „Booster“). 1971 gründet er mit Robert Petersen auf Captiva Island die Druckexperimentierwerksatt „Untitled Press., Inc.“. 1974-1976 arbeitet er mit dem Schriftsteller Alain Robbe-Grillet an dem Buch „Traces Suspectes en Surface“. Ende der 1970er entsteht Rauschenbergs Antwort auf Kambodscha und Vietnam: “The 1⁄4 Mile or 2 Furlong Piece”, ein Werk mit einer Länge von mehr als 400 Metern, das aus Gemälden, Collagen und Objekten zusammengesetzt ist.
„Technologie und Kunst könnten durch Zusammenarbeit und Informationsaustausch das Bewusstsein der Menschheit aufrütteln, um eine totale Katastrophe zu verhindern.“ Diese Überzeugung regt Robert Rauschenberg Mitte der sechziger Jahre zur Schaffung eines von der Technologie inspirierten Werkkomplexes an. Rauschenberg definiert Technologie als „zeitgenössische Natur“, die die Kunst der Zukunft prägen würde. 1966 gründet er gemeinsam mit den beiden Ingenieuren Billy Klüver und Fred Waldhauer sowie dem Künstler Robert Whitman die „Experiments in Art and Technology“ (EAT) zur Erkundung von Wechselwirkungen zwischen Kunst, Technologie und Industrie.
1984 beginnt Rauschenbergs vielleicht spannendstes Projekt, die “Rauschenberg Overseas Culture Interchange” (ROCI), eine wandernde Ausstellung von insgesamt etwa 200 Kunstwerken. In Zusammenarbeit mit den Vereinten Nationen führt das Projekt bis 1991 durch 10 Länder. Die Werke entstehen jeweils in Zusammenarbeit mit den Künstlern am Ausstellungsort. Das ROCI war in Berlin, in Chile und in Japan, in Mexiko und der Sowjetunion, in Venezuela und in Tibet. Man glaubt sofort, dass Rauschenberg seinen Entschluss, „etwas gegen die Weltkrise zu tun, anstatt mich der Midlife Crisis hinzugeben“, nie bereut hat.
In Fortführung dieser Erfahrungen gründet der Künstler 1990 die “Robert Rauschenberg Foundation”, eine gemeinnützige Einrichtung, in der er politische und gesellschaftliche Aufklärungsarbeit und wissenschaftliche Forschungsprojekte unterstützt.
Der mit vielen Ehrungen ausgezeichnete Künstler starb am 12. Mai 2008 im Alter von 82 Jahren auf Captiva Island in Florida.
1964 war Rauschenbergs der erste Amerikaner und der jüngste Künstler, dem der große Preis für Malerei bei der Biennale in Venedig verliehen wurde. Für sein Talking Heads Album „Speaking in Tongues“ gewann er einen Grammy Award. 1998 wurde ihm der Praemium Imperiale verliehen, eine Art Nobelpreis für Kunst des japanischen Kaiserhauses. Robert Rauschenberg war Teilnehmer der documenta II (1959), der documenta III (1964), der documenta IV (1968) und auch der documenta VI (1977). 1978 wurde er in die American Academy of Arts and Scienes und in die American Academy of Arts und Letters aufgenommen.
Seine Arbeiten sind heute in den bedeutendsten Museen und öffentlichen Sammlungen weltweit vertreten.