Roy Fox Lichtenstein
* 1923 New York
† 1997 New York
„All meine Kunst bezieht sich in gewisser Weise auf andere Kunst, auch wenn diese andere Kunst Comics sind.“
Als Maler, Graphiker und Bildhauer wurde Roy Lichtenstein mit seinem Werk zu einer Schlüsselfigur der amerikanischen Kunst der Nachkriegszeit, zu einem Synonym für die amerikanische Pop Art und zu einem der einflussreichsten Künstler des 20. Jahrhunderts. Mehr als drei Jahrzehnte gelang es ihm, seinen eigenen künstlerischen Quellen treu zu bleiben und gleichzeitig seine verschiedenen thematischen Motive auszubauen, vielfältig zu kombinieren und zu variieren.
Indem Lichtenstein die traditionellen Schranken der Malerei durchbrach, begab er sich auf ein gefährliches Terrain. Im Gegensatz zu den weitsichtigen Sammlern des New Yorker Galeristen Leo Castelli reagierten die meisten Vertreter der angesehenen Kunstkritik zunächst mit Ablehnung auf seine Bilder. Die distanzierte kühle Banalität seiner Comics und Werbebilder war in ihren Augen eine Beleidigung für die Kunst als solche, für die ehrwürdigen Institutionen und deren Vermittler.
Hintergründiger Humor und Ironie sprechen ebenso aus vielen seiner Werke wie ein untrügliches Gespür für Motivwahl und formale Bildgestaltung.
Roy Lichtenstein hat sich gedulden müssen, bis ihm der Durchbruch gelang. 1962 war er fast vierzig Jahre alt und hinter ihm lag eine eher unspektakuläre Karriere und eine von Entbehrungen geprägte Zeit.
Geboren wird er 1923 in Manhattan als Sohn einer typischen Mittelstandsfamilie. Der Vater ist Immobilienmakler, die Mutter kümmert sich um die Familie. Bis zum Alter von zwölf Jahren geht er auf eine öffentliche Schule, anschließend besucht er eine private Institution. Als Jugendlicher durchstreift er die Stadt, begeistert sich für den Jazz, und ebenso wie die Kubisten fühlt er sich zur Kultur der Schwarzen hingezogen.
Während seines letzten Schuljahres (1939) besucht er Sommerkurse an der New York Art Students League bei Reginald Marsh. Marsh, also sein erster Kunstlehrer, gehörte zu einer Riege amerikanischer Maler, die sich einer nationalen Kunst verschrieben hatten. Ihre Motive bezogen sie vorrangig aus dem amerikanischen Alltagsleben, das sie in einer leicht verständlichen, fast karikaturhaften Art und Weise malten oder zeichneten. Auch Lichtenstein zeichnet damals ähnlich typische Szenen des New Yorker Alltags.
Nachdem er 1940 die High School abgeschlossen hat, steht für ihn fest, dass er Künstler werden will. Seine Eltern sind einverstanden und erlauben ihm, an die Ohio State University zu gehen. New York ist damals keine Kunstmetropole und Lichtenstein sieht keinen Grund, zuhause zu bleiben. An der Ohio State University wird ihm die Möglichkeit geboten, Atelierkurse zu belegen und außerdem seinen Bachelor of Fine Arts zu machen. Nach einer dreijährigen Unterbrechung durch den Militärdienst kehrt er nach Ohio zurück und schließt sein Studium mit dem Diplom ab.
Einer seiner Lehrer ist Hoyt L. Sherman, der einen nachhaltigen Einfluss auf ihn ausüben sollte. In seinen Kursen unterrichtet Sherman Kunststudenten aus den verschiedenen Fachbereichen. Er hat eine ungewöhnliche Methode entwickelt, um ihre Wahrnehmung zu schulen. Dazu benutzt er einen „Flash room“, also einen abgedunkelten Raum, in dem er Bilder kurz auf eine Leinwand projiziert und wieder verschwinden lässt. Manchmal werden reale Objekte an die Decke gehängt und kurz angestrahlt. Dann müssen die Studenten zeichnen, was sie gesehen haben. Dazu Lichtenstein: „Man bekam ein sehr starkes Nachbild, einen Gesamteindruck, und den musste man dann in der Dunkelheit zeichnen. Dabei kam es darauf an zu erspüren, wo die Einzelteile sich im Verhältnis zum Ganzen befanden […] Es war eine Mischung aus Wissenschaft und Ästhetik, und genau das interessierte mich ja. Ich wollte schon immer den Unterschied wissen zwischen einem Strich, der Kunst ist, und einem der keine Kunst ist. Shermann war schwer zu verstehen, aber lehrte uns, dass der Schlüssel zu allem in dem lag, was er als Einheit der Wahrnehmung bezeichnete.“ (Janis Hendrickson, Roy Lichtenstein, 1923-1997, Die Ironie des Banalen, Taschen Verlag Köln, 2011, S. 10). Der letzte Schritt dieses Lernprozesses besteht darin, nach dem Leben zu zeichnen. Die Studenten sollen die Fähigkeit entwickeln, auch die vertrautesten Gegenstände so wahrzunehmen, als handele es sich um eine rein optische Erfahrung.
Nachdem er an der Ohio State University den Master of Fine Arts abgelegt hat, erhält er dort eine Stelle als Dozent und übt die Lehrtätigkeit im Laufe der folgenden zehn Jahre mit Unterbrechungen immer wieder aus. 1951 ziehen er und seine erste Frau Isabel Wilson nach Cleveland und bleiben die nächsten sechs Jahre. Lichtenstein arbeitet als technischer Zeichner, Schaufenstergestalter und Designer für Weißblechprodukte. Phasen des Malens und des Geldverdienens wechseln sich ab. 1957 nimmt er seine Lehrtätigkeit in Oswego, einem kleinen College im US-Staat Ohio, wieder auf. Hier beginnt er, sich mit dem Abstrakten Expressionismus auseinanderzusetzen, der sich inzwischen international durchgesetzt hat. Wie viele andere Künstler lehnt auch Lichtenstein das elitäre Machogehabe dieser Künstler ab. Für seine beiden Söhne beginnt er, kleine Comicfiguren wie Mickey Mouse, Donald Duck, Bugs Bunny und andere der Disneywelt zu zeichnen.
Als Lichtenstein 1960 seine Dozentenstelle am Douglas College der Rutgers University in New Jersey antritt, findet er Anschluss an die Veränderungen, die sich in New York durch junge innovative Künstler vollzogen haben. Einer seiner Kollegen ist der Kunsthistoriker und Performancekünstler Allan Kaprow. In seiner Kunst hat Kaprow die Idee seines Lehrers, des Musikers John Cage, weiterentwickelt. Für Cage, u.a. Lehrer am Black Mountain College und Schlüsselfigur der Neuen Musik, besaßen Alltagsdinge eine ästhetische Bedeutung. Kaprow ist es auch, der Lichtenstein ermutigt, mit seinen Comicbildern weiterzumachen.
„Ich kam auf die Idee, eines dieser Kaugummibilder zu malen, und zwar großformatig, einfach um zu sehen, wie das ausschauen würde.“ Das erste große Ölbild, an dem er mit scharf konturierten Figuren, Industriefarben und der Rasterung arbeitet, ist „Look Mickey“ (Schau mal, Mickey) von 1961. Hierfür vergrößert Lichtenstein das Kaugummibild und malt es inklusive Sprechblase mit einer Hundebürste als Pinsel in den leuchten Primärfarben Blau, Gelb und Rot direkt auf die Leinwand. Es ist die Geburtsstunde seiner Künstlerkarriere. „Look Mickey“ wird in der New Yorker Galerie von Leo Castelli ausgestellt und verkauft. Fortan kann Lichtenstein von seiner Kunst leben.
Er experimentiert viel und imitiert die industriellen Drucktechniken. Die Phänomene der industriellen Massenfertigungen, die Werbemittel der Massenmedien werden Inspirationsquellen.
Sie faszinieren ihn, bringen aber zugleich seinen kritischen Umgang mit ihnen zum Ausdruck. Statt Farbflächen setzt er zunächst gleichgroße Farbpunkte nebeneinander. Diese „Benday-Dots“ – nach dem amerikanischen Künstler und Erfinder Benjamin Day benannt, der diese für die industrielle Illustration entwickelte – werden zu Roy Lichtensteins Markenzeichen sowohl in der Malerei als auch in der Druckgraphik. „Die Punkte sind ganz wichtig. Am Anfang waren sie handgemacht, wurden aber dann immer besser. Zuerst ging die Arbeit mit Hundebürsten aus gleichmäßig verteilten Borsten vonstatten. Manchmal wurden auch Pinsel zusammengebunden. Eine selbst hergestellte Metallschablone war der nächste Schritt. Es folgten Schablonen aus gelochtem Metall, die ich beim Hersteller fertig kaufte. […] Kurz gesagt, je größer und klarer der Punkt ist, umso später ist das Gemälde entstanden.“
Alles Dargestellte ist stark stilisiert. Die Details sind auf das Wesentliche reduziert. Eine plastisch modellierte Innenzeichnung fehlt fast völlig. Hierdurch, aber auch durch die monochromen Farbflächen und den neutral gehaltenen Hintergrund, wirken die Motive sehr flächig. Ein eindrucksvolles Beispiel für Lichtensteins Nutzung industrieller Ideen ist auch seine Farbgebung. Wie der kommerzielle Drucker versuchte er, so wenige Farben wie möglich einzusetzen. Während der Drucker dies aus ökonomischen Gruppen entschied, wird es bei Lichtenstein zu einem künstlerischen Mittel. Große Flächen werden entweder vollständig gefüllt oder durch die charakteristischen „dots“ oder Streifen dargestellt.
In Skizzenblättern hatte Lichtenstein bereits mit Schraffuren gearbeitet. Als bewusst eingesetzte formale Elemente tauchen sie in Form von Streifen in den 1970er Jahren auf. Inspiriert von den Horizontalen und Vertikalen Mondrians, den Diagonalen von van Doesburg, dem dekorativen Stil des Art déco sind sie zunächst Merkmale seiner frühen „Interior Series“.
Die Beschäftigung mit den Printmedien nimmt eine herausragende Stellung in Lichtensteins Schaffen ein. Die graphischen Techniken sind ihm hervorragende Ausdrucksformen und wesentliche Grundlage, um seriell zu arbeiten. Er widmet sich dem Siebdruck, der Aquatintaradierung, dem Holzdruck, der Lithographie, dem Reliefdruck und bedient sich immer wieder der Collage- und Schablonentechnik.
1962 nimmt er an der legendären ersten großen Pop Art-Gruppenausstellung „The New Realists“ in der Sidney Janis Gallery New York teil, 1963 an der Ausstellung „Six Painters and the Object im Solomon R. Guggenheim Museum New York. Es folgen Einzelausstellungen in Amerika und erste in Europa (Paris, Turin). 1964 stellt er als erster amerikanischer Maler in der Tate Gallery in London aus. Noch vor der Eröffnung seiner ersten Einzelausstellung bei Leo Castelli in New York im Februar 1962 sind alle Arbeiten an bedeutende Sammler verkauft. Im November 1966 zeigt das Cleveland Museum of Art als erstes Museum eine Einzelausstellung Lichtensteins.
1968 und 1977 nimmt er an der documenta teil, ab 1966 mehrfach an der Biennale in Venedig. Seine erste Retrospektive präsentiert er 1969/70 im New Yorker Guggenheim Museum, die anschließend nach Kansas City, Seattle, Columbus and Chicago geht. Im Metropolitan Museum of Modern Art New York findet die Ausstellung „New York Paintings and Sculptur: 1945-1970“ statt. 1969 arbeitet er in den Universal Filmstudios in Los Angeles. Filmexperimente in New York folgen. 1968 heiratet er Dorothy Herzka, die er 1964 in New York kennengelernt hat.
1970 verlegt er seinen Wohnsitz und sein Atelier nach Southampton auf Long Island. Er malt vier große Wandbilder für die medizinische Fakultät der Universität Düsseldorf und wird 1971 Mitglied der American Academy of Arts and Sciences Boston. 1972 veröffentlicht Diane Waldman die erste Monographie über Lichtensteins Gemälde und Plastiken. 1979 wird er in die American Academy of Arts and Sciences New York gewählt.
1981 zeigt das Saint Louis Art Museum eine Ausstellung mit Gemälden und Plastiken, die anschließend in weiteren amerikanischen Städten sowie in Europa und Japan zu sehen ist. Ab 1984 wohnt und arbeitet Lichtenstein wieder regelmäßig in New York. 1986 wird das Wandbild „Mural with Blue Brushstroke“ in der Eingangshalle des Equitable Tower in New York enthüllt.
1987 findet im Museum of Modern Art New York die erste große Übersichtsausstellung des zeichnerischen Werks statt. Mit dieser Ausstellung präsentiert das Museum erstmals eine Ausstellung von Zeichnungen eines noch lebenden Künstlers.
Sie ist anschließend u.a. in Frankfurt zu sehen. 1989 weilt er als artist in residence an der American Academy in Rom. Er reist nach Tel Aviv, um ein Wandbild für die Eingangshalle des Kunstmuseums zu erstellen.
Angeregt durch das Werk des katalanischen Architekten Antoni Gaudí fertigt er 1992 für die Olympischen Spiele in Barcelona eine etwa 20 Meter hohe Plastik aus farbigen Keramikkacheln. 1994 zeigt das Guggenheim Museum eine von Diane Waldman organisierte Retrospektive, die anschließend in anderen Städten in Nordamerika und Europa zu sehen ist. Im gleichen Jahr stellt er sein sechszehn Meter langes Wandbild für die U-Bahn-Station am Times Square in New York fertig, es wird jedoch erst 2002 installiert. 1995 wird ihm der Kyoto Preis verliehen. 1996 malt er sein letztes Selbstporträt und nennt es Coup de Chapeau.
Lichtenstein neigt dazu, in Themengruppen zu arbeiten.
Der Prototyp der hübschen jungen Frau taucht in Lichtensteins Frühwerk immer wieder auf. In den späteren Arbeiten hat sie bisweilen auch einen Text zu sprechen und zu denken. Sie tut immer genau das, was man von einer Frau erwartet. Manchmal ist sie blond, manchmal brünett, aber ansonsten hat sie keinerlei individuelle Züge. Die Frauen zeigen das Klischee einer hübschen jungen weißen Frau, mit gewelltem Haar, roten Lippen, einer guten Figur, hingebungsvoll, erotisch, verliebt, verzweifelt, weinend, verletzt, wartend, sinnierend, dynamisch, adrett …
An die Stelle der Figuren der Disneywelt treten in den folgenden Jahren Motive aus der Werbung wie Kleinanzeigen aus dem Branchenbuch, Illustrationen aus Versandkatalogen oder Comics mit Liebes- oder Kriegsgeschichten.
In den auf Actions-Comics zurückgehenden Bilderzyklen der War Comics intensiviert Lichtenstein die Bildwirkung. Plakative grelle Farben, betonte Stilisierung der Zeichnung, die auf Geschützdonner und Explosion hin komprimierte Darstellung verfehlen ihre Wirkung nicht. „Es ist kein vorrangiges Ziel meiner Kriegsbilder, militärische Aggressivität in einem absurden Licht darzustellen. Persönlich finde ich, unsere Außenpolitik ist in vieler Hinsicht barbarisch gewesen, aber das ist es nicht, worum es mir bei meiner Arbeit geht […] Das Thema meiner Arbeit betrifft eher unsere amerikanische Definition von Bildern und visueller Kommunikation.“ (Janis Hendrickson, Roy Lichtenstein, 1923-1997, Die Ironie des Banalen, Taschen Verlag Köln, 2011, S. 29).
Im Jahr 1964 beginnt Lichtenstein, Landschaften zu malen. Die Landscapes bieten ihm die Möglichkeit, auf seine formalen Mittel wie die schwarze Konturzeichnung, Rasterpunkte, Streifen, Farbflächen zurückzugreifen. Auch wenn er sich bei den Landschaften auf ein Bildmotiv bezieht, das eindeutig in der Realität wurzelt, stellt er das Sujet vereinfacht dar, er führt uns die Grundelemente einer Landschaft vor. Von 1966 an schafft Lichtenstein eine Reihe von Collagen unter Verwendung einer „Rowlux“ genannten Kunststofffolie, die ihm dazu dient, die Künstlichkeit einer Landschaft noch zusätzlich zu unterstreichen. Darstellungen von Monumentalarchitekturen (Tempelanlagen, Pyramiden …) erinnern eher an stereotype Landschaftsmodelle. In ihnen nimmt er u.a. Bezug auf die Antike. Zum Thema der „Baudenkmäler“ gehört die Serie mit dem Motiv der Kathedrale von Rouen nach Claude Monet.
Seine Brushstroke–Serie beginnt 1965. Nach und nach kristallisiert sich der Pinselstrich dann als eigenes Sujet heraus. Mit ihm parodiert er die gestische Malerei der Abstrakten Expressionisten. Das monumentale Format macht die „erstarrten“ Pinselstriche zu Ikonen.
Ein Grundzug von Lichtensteins Werk ist die Adaption fremder Kunstwerke. Er verarbeitet Werke von Cézanne, Dubuffet, Ernst, Hokusai, Klee, Léger, Magritte, Matisse, Miró, Mondrian, Monet in Stillleben, Interieurs und Porträts. Anregungen findet er auch in anderen Kunstperioden, dem Futurismus, Art déco, Surrealismus, Bauhaus, Abstrakten Expressionismus, den Stilmittel der Hard-Edge Malerei, dem deutschen Expressionismus und indianischen Formen.
WennLichtenstein die Werke bestimmter Künstler transformiert, geht es ihm um die formale Beziehung zwischen seinem eigenen Stil und dem des betreffenden Künstlers. Lichtenstein arbeitet zwar mit dem Stil des anderen, aber vor allem geht es ihm um spezifische Stilarten.
In der Mirrors-Serie, die Lichtenstein im Jahr 1969 beginnt, erreicht die Abstraktion einen besonderen Grad. Der Spiegel steht für den Diskurs über das Wesen von Wirklichkeit und Illusion. Durch den sparsamen Einsatz von Formen, Farben und Texturen gelingt es ihm, die Feinheiten flüchtiger Spiegelungen wiederzugeben.
Im Jahr 1971 beginnt er eine Serie von zehn Entablatures(Fassadengesimse, Friese). Er verlegt sich auf Motive, die er der Fassadengestaltung von Gebäuden entlehnt. Dabei sucht er sich die verschiedensten architektonischen Details überwiegend von Friesen aus, die griechischen und römischen Vorbildern nachempfunden sind. Zu Beginn des Jahrhunderts waren diese reichlich zur Dekoration der Fassaden von amerikanischen Bank-, Gerichts-, Museums- und Bibliotheksgebäuden eingesetzt worden. Genau wie in den Spiegel-Bildern wird die Frage nach der Räumlichkeit in diesen Arbeiten auf einer rein konzeptuellen Ebene behandelt.
Im Anschluss an die erste Entablatures-Serie beginnt Lichtenstein mit einer Serie von Stillleben, die ihn von 1972-76 beschäftigt. Die Still Lifes, die er in den siebziger Jahren malt, unterscheiden sich erheblich von denen aus den Sechzigern. Damals waren seine bevorzugten Motive nicht die traditionellen Gegenstände dieser Bildgattung, sondern eher alltägliche wie ein gebratener Truthahn, Hotdogs, ein Kuchenstück, wie man sie aus der Werbung kannte. Bei seinen Still Lifes der siebziger Jahre wendet er sich der traditionellen Stilllebenmalerei und einer neuen Palette von Sujets zu. In einer weiteren Gruppe verbindet er Stillleben und Landschaft miteinander. Die unbeholfene Darstellungsweise und Ausführung eines Amateurmalers nachahmend, verwendet er verschiedene Perspektiven, widersprüchliche Licht- und Schattenwürfe und nimmt dem traditionsbeladenen Stilllebengenre seine Bedeutungsebene.
Die folgende Serie der Artist’s Studios bietet Lichtenstein die Möglichkeit, sein eigenes Werk Revue passieren zu lassen bzw. in einen Dialog mit dem Werk anderer Künstler wie Matisse oder Braque einzutreten.
Gleichzeitig entstehen Trompe-l’œil-Bilder mit Verweisen auf die amerikanische Trompe-l’œil-Malerie des 19. Jahrhunderts, den Kubismus und andere Künstler.
Während der achtziger Jahre geht Lichtenstein neuen wie auch vertrauten Themen nach. Er kehrt zu seinen „Brushstroke“-Motiven zurück, 1980/81 entstehen kleinere Serien von Stillleben, Landschaften und in Auseinandersetzung mit Willem de Kooning Frauendarstellungen. In der Serie “Reflections on …“ entwickelt er die Idee der Gegenüberstellung zweier kontrastierender Stilarten aus eigenen früheren Bildserien oder anderer Künstler weiter. 1988 malt er die Plus and Minus-Bilder nach Werken Mondrians.
„Perfect / Imperfect“ ist seine konsequenteste Auseinandersetzung mit Abstraktion. Es sind abstrakte Kompositionen, die ausschließlich aus ineinandergreifenden Dreiecken und den Vierecken, die sich innerhalb der Schnittlinien dieser Dreiecke bilden, aufgebaut sind. „In den Imperfect Paintings geht die Linie über das Rechteck des Gemäldes hinaus, als ob ich den Rand irgendwie übersehen hätte. In den Perfect Paintings endet die Linie am Rand. Die Grundidee ist, dass man irgendwo auf der Linie ansetzen kann, ihr folgt und wieder beim Ausgangspunkt ankommt.“
Zu Beginn der 1990er Jahre nimmt Lichtenstein das Thema der häuslichen Interieurs wieder auf und setzt sich in seinem Spätwerk mit chinesischer Landschaftsmalerei auseinander.
Im Verlauf der vergangenen drei Jahrzehnte hat Lichtenstein auch ein bedeutendes bildhauerisches Werk hervorgebracht, das überwiegend auf Motive aus seinen Gemälden zurückgeht. Sein erstes großes Wandbild, Mural, schafft er 1964 für ein Gebäude, das für die Weltausstellung im New Yorker Stadtteil Flushing entstand. Ihm sollten weitere folgen. Lichtenstein Wandbilder zeichnen sich durch den gleichen Witz und Humor aus, den wir von seinem Schaffen her kennen.
Der mit vielen Ehrungen ausgezeichnete Künstler stirbt am 20. September 1997 in Manhattan. Sein Werk ist heute in den bedeutendsten Museen und öffentlichen wie privaten Sammlungen weltweit vertreten.