Künstler
Christo und Jeanne-Claude
In Bildern und Objekten von Christo und Jeanne-Claude lebt der Geist einmaliger Projekte
Die großen Erlebnisse dauerten nie länger als zwei, drei Wochen. Dann fielen die Hüllen vom Berliner Reichstag wieder, dann verschwanden die pinkfarbenen Säume um Inseln vor Miami und die schwimmenden Stege im Iseo-See. Millionen von Menschen staunten über die spektakulären Projekte, die das Künstlerpaar Christo und Jeanne-Claude in die Welt setzte. Für jeden zugänglich, unübersehbar. Und vergänglich. „Niemand kann diese Projekte kaufen, niemand sie besitzen, niemand Eintritt verlangen“, sagte Christo, der gerne damit kokettierte, dass seine Ideen vollkommen „useless“, nutzlos, wären. Es gab in der Tat keinen praktischen und keinen wirtschaftlichen Nutzen, nur die Kühnheit des Gedankens: „Unser Werk handelt von Freiheit“, stellten die beiden mit Stolz fest.
Doch auch Freiheit hat natürlich einen Preis. Die Installation der flüchtigen Attraktionen kostete Millionen. Da Christo, um glaubwürdig zu bleiben, alle Subventionen ablehnte und keinerlei kommerzielle Verbindungen akzeptierte, mussten seine Frau und er die Finanzierungen selbst erwirtschaften – mit einer Fülle von Zeichnungen, Grafiken, Fotografien, Collagen, die zum Teil schon während der Planung entstanden. Diese kleinen Werke kamen auf den Markt und berühren Betrachter als künstlerische Erinnerung an phänomenale Ereignisse.
Seltener sind Objekte aus Christos früherer Zeit, als er die Idee der Verhüllung entdeckte: die „Packed Roses“ zum Beispiel, Plastikblumen, die er Ende der 1960er-Jahre in Folie wickelte und kunstvoll verschnürte. Auch mit Dosen und Flaschen hatte er das bereits ausprobiert – und sogar mit einem VW-Käfer, den er 1963 in der legendären Düsseldorfer Avantgarde-Galerie Schmela präsentierte. Christo war fasziniert von der Entfremdung und zugleich Betonung einer Form. Und er hatte die Frau gefunden, die ihm leidenschaftlich zur Seite stand – im Leben und in der Kunst.
Jeanne-Claude Denat de Guillebon stammte aus einer gehobenen französischen Militärfamilie und war in Casablanca geboren – zufällig oder schicksalhaft am selben Tag wie Christo Wladimirow Jawaschew: dem 13. Juni 1935. Christo kam aus Bulgarien, Sohn eines Chemiefabrikanten, der nach dem Zweiten Weltkrieg vom kommunistischen Regime schikaniert und enteignet wurde. Nach ein paar Semestern Kunststudium an der Akademie von Sofia entfloh der junge Mann dem Land und ging über Wien nach Paris, wo er sein Geld als Porträtmaler Jawaschew verdiente. Zu seinen Kundinnen gehörte die Gattin eines Generals, die eine temperamentvolle Tochter hatte: Jeanne-Claude. Und obgleich sie noch wie geplant ihren Verlobten heiratete, war die Amour zu Christo stärker. 1960 kam Sohn Cyril zur Welt. Und auch die Kunst betrachteten sie fortan als ihr gemeinsames Kind. Jeanne-Claude bezeichnete die Realisierung eines Projekts gern als Geburt.
Die Ideen wuchsen – und trotzten auch dem Scheitern. Die Unbeirrbarkeit von Christo und Jeanne-Claude passte zur Tatkraft ihrer Wahlheimat Amerika. Obgleich der „Valley Curtain“, ein gigantischer Vorhang, über einem Tal in die Rocky Mountains 1972 vom Wind zerfetzt wurde und nur auf den Fotografien von Wolfgang Volz gesehen werden konnte, entwickelten die beiden neue Ideen und gaben verrückten Träumen mit harter Planung eine Gestalt in der Realität. Gegen allen behördlichen Widerstand zogen sie 1976 einen fast 40 Kilometer langen, flatternden Zaun aus Stoffen („Running Fence“) durch die kalifornische Prärie. „Ich liebe die realen Dinge“, bemerkte Christo im Alter, „realen Wind, reale Trockenheit, reale Nässe, reale Angst, reale Freude.“
Und genau das war das Erfolgsgeheimnis des weltberühmten Paares. Ihre Werke wurden zu Phänomenen in der Wirklichkeit, gefeiert von den Massenmedien, erlebbar auch von Menschen, die nie in ein Museum gehen oder bei Vernissagen kenntnisreich über Kunst plaudern. Als Christo und Jeanne-Claude 1983 mit 500 Helfern pinkfarbene Säume aus Polypropylen um elf unbewohnte Inseln in der Biscayne Bay vor Miami gelegt hatten, verzauberte die Schönheit des Projekts das Lebensgefühl in der damals stark kriminalisierten Metropole des Sunshine-Staates Florida. Mit Rührung betrachtet man heute die subtilen Zeichnungen, die Christo in der Vorbereitungszeit angefertigt hat.
Das Paar war nicht aufzuhalten. Christo und Jeanne-Claude verhüllten in Paris die Seine-Brücke Pont Neuf (1985), stellten in Japan und Kalifornien einige tausend leuchtender Schirme auf („The Umbrellas“, 1990) und verhüllten 1992 nach 23 Jahren der Planung und unermüdlichen Diskussionen mit Politik und Behörden den Berliner Reichstag, obwohl sogar Bundeskanzler Helmut Kohl dagegen war. Geschätzte fünf Millionen Besucher bestaunten die glänzende Hülle aus alubeschichtetem Polypropylen, hergestellt von der münsterländischen Firma Schilgen. Stücke dieses Stoffs wurden wie Reliquien verteilt, bewahrt und in Collagen verarbeitet.
Als Jeanne-Claude 2009 mit 74 Jahren an einem Aneurysma starb, erwarteten viele, dass Christo den Mut verlieren würde. Doch er machte weiter: „Jeanne-Claude ist immer bei mir.“ 2016 gelang ihm eins der betörendsten Projekte: die „Floating Piers“, drei Kilometer lange, mit leuchtendem gelben Stoff bespannte schwimmende Stege auf dem italienischen Iseo-See. Etwa 1,3 Millionen faszinierter Menschen konnten dank Christo über das Wasser bis zur Insel Monte Isola wandern und werden das Erlebnis sicher nie vergessen. Die Erinnerung wird zur eigenständigen Kunst in besonders schönen zeichnerischen und grafischen Arbeiten, die Christo hinterließ.
Und schon plante er Neues. 2018 ließ er eine „Mastaba“, das ist ein ägyptisches Grabmal in Form einer Pyramide ohne Spitze, in einem See im Londoner Hyde-Park schwimmen. Das Objekt bestand aus 7506 leeren, rot und blau lackierten Ölfässern und ist die kleinere Version einer Mastaba aus 410 000 Fässern, die Christo und Jeanne-Claude in den Wüstensand von Abu Dhabi setzen wollten – was wegen der schwierigen politischen Lage nie gelang.
Bei aller Entschiedenheit konnte Christo auch loslassen. Von dem betörenden Projekt „Over the River“, der Überspannung des durch Colorado fließenden Arkansas Rivers mit frei schwebenden silbernen Geweben, nahm er 2017 nach einem nervenzehrenden Genehmigungsverfahren selbst Abstand. Nicht nur die geschätzten 50 Millionen Dollar für die Verwirklichung schreckten ihn ab, sondern vor allem der Wahlsieg von Donald Trump. Die US-Regierung wäre rechtlich der Vermieter des Flusses gewesen. Und: „Ich kann kein Projekt machen, dass diesem Vermieter zugute kommt“, erklärte Christo deutlich. So lebt das Werk „Over the River“ nur seinen ebenso zarten wie kühnen Zeichnungen, Fotografien und Collagen.
Christo, der Visionär und Macher, starb mit 84 Jahren im Mai 2020 in New York, zehn Jahre nach seiner geliebten Jeanne-Claude. Er hatte bis zuletzt an einem lang ersehnten Projekt gearbeitet, das wegen der Corona-Pandemie erst posthum verwirklicht werden sollte: die Verhüllung des Pariser Arc de Triomphe mit einem silberglänzenden Stoff und roten Schnüren. Christos Neffe Wladimir Jawaschew sorgte dafür, dass der Plan, den sich Jeanne-Claude und Christo bereits seit 1961 ausgemalt hatten, tatsächlich noch Wahrheit wurde. Ein glänzender Trost für die Menschen in wirren und dunklen Zeiten. BIRGIT KÖLGEN